Mein Sohn hat seit längerer Zeit ein absolutes Lieblingsbuch:
Ich habe eine Freundin, die ist Notärztin.
Eine Zeitlang mussten wir es ihm jeden Tag zum Einschlafen vorlesen und er konnte schon teilweise den Text mitsprechen.
Dann, nach einem Umzug, konnten wir unsere Notärztin nicht mehr finden, also habe ich ein neues Exemplar angeschafft. Aber schon auf der ersten Seite dachte ich: Moment! Das ist doch nicht unsere gute alte Notärztin! Und tatsächlich wurde das Pixi-Buch schon 2013 überarbeitet – wir hatten also vorher ein besonders antikes Exemplar erwischt.
Dank meiner guten Wiederfinde-Qualitäten besitzen wir jetzt, der Knüller, beide Exemplare der Notärztin: das überarbeitete von 2013 und unsere alte Ausgabe von 2001.
Und: Es wurde einiges am Text verändert, zum Beispiel der Einstieg:
Alte Ausgabe: „Ich habe eine Freundin, die ist Notärztin. Mit meinem Papa habe ich eine Wanderung gemacht.“
Ich hatte nach dem zehnten Mal Vorlesen einfach akzeptiert, dass wir es hier mit einem ziemlich abrupten Wechsel von einem eher überschriftartigen Satz hin zur Inhaltsebene zu tun haben.
Mein Sohn sowieso.
In der neuen Notärztin wird mehr erklärt, den abrupten Einstieg gibt es nicht mehr:
Neue Ausgabe: „Ich habe eine Freundin, die ist Notärztin. Sie heißt Anja. Ich habe sie erst vor wenigen Tagen kennengelernt.“
Auch an ein paar anderen Stellen kam ich früher beim Lesen ins Holpern, wie beispielsweise hier, wenn Anja, die Notärztin, spricht:
Alte Ausgabe: „Ich muss zurück, falls wieder ein Notfall ist, müssen wir sofort wieder starten.“
Das wiederholte „wieder“ klang für mich doch etwas überflüssig, daher wurde es (von mir) manchmal weggelesen, je nachdem, wie wach ich noch war.
Die Stelle wurde in der überarbeiteten Ausgabe ebenfalls verändert und liest sich nun flüssiger und verständlicher:
Neue Ausgabe: „Ich muss zum Hubschrauber zurück – falls es einen neuen Unfall gibt“, sagte Anja.
Eine leicht missverständliche, witzige Stelle ist diese aus der 2001er-Ausgabe. Die Hauptfigur steht gerade kurz davor eingegipst zu werden und ein Arzt erklärt ihr, wie es weitergehen wird:
Alte Ausgabe: „Wenn die Schwellung nachlässt, bekommst du auch einen leichten Verband wie der Junge dort. Er hält dein Bein so lange gerade, bis der Knochen wieder zusammen gewachsen ist.“
Wer hält jetzt das Bein? Hä?? 😉
Aber siehe da, nun hat sich auch diese Stelle verändert:
Neue Ausgabe: „Wenn die Schwellung nachlässt, bekommst du auch einen leichten Verband wie der Junge dort“, erklärte Stefan. Der Verband hält dein Bein so lange gerade, bis der Knochen wieder zusammengewachsen ist.“
Aha, der Verband macht das also! 😊
Der Hammer kam für meinen Sohn jedes Mal dann, wenn Anja, die Notärztin, dem Mädchen den Rettungswagen von innen zeigt. Denn: Er war und ist fest davon überzeugt, dass sie dem Mädchen das Innere des Rettungshubschraubers zeigt, denn um den, denkt er, geht es ja schließlich, und ich lese aber: „Anja holt mich heute ab und geht mit mir in die Garage zu den Rettungswagen.“ Und er immer: Zum Rettungshubschrauber!“ (strenger Blick zu mir)
Das Missverständnis wird wohl auch dadurch noch verstärkt, dass Anja das Mädchen im Krankenzimmer besucht und ihr ein Geschenk mitbringt: ein Modell des … Rettungshubschraubers!
Also, lieber Carlsen Verlag, vielleicht müsst ihr die Notärztin 2 herausbringen, bei der es dann endlich ins Innere des Rettungshubschraubers geht.
Also, ich mochte die frühere Notärztin sehr, vielleicht ist mir die jetzige schon zu perfekt, aber besser erklärt und verständlicher ist sie nun auf jeden Fall.
Bleibt also nur noch die Verabschiedung, zu der Anja dem Mädchen einen Koffer schenkt, auf dem, ach nein, auf den, sie ein rotes Kreuz geklebt hat. „Falls du auch Notärztin werden willst.“
Ich bin gerade erstmal ins Kinderzimmer gelaufen um ganz sicher zu gehen, aber wir haben auch die alte Ausgabe. Habe mir auch immer vorgestellt wie der Junge das Bein hält😉