Für ein Revival Christine Nöstlingers im Kinderzimmer (und in den Buchhandlungen)

SPÖ-OÖ 2012-03-04 Lesung und Gespräch mit Christine Nöstlinger (6952052205)
Christine Nöstlinger nach einer Lesung 2012 in Wien. Foto CC-BY-2.0 SPÖ-OÖ
Anlässlich des Todes von Christine Nöstlinger habe ich in Buchhandlungen und Büchereien nach ihren Werken gefragt, aber mehr oder weniger einhellig die Antwort erhalten, sie sei einfach nicht mehr sehr gefragt, sondern eben eine Autorin der 80er- und 90er-Jahre, die heute nicht mehr verlangt würde.

Nachgehakt, woran die fehlende Nachfrage denn liegen könnte, wurde mir gesagt, ihre Geschichten seien einfach nicht mehr schnell genug erzählt und wenige Kinder und Eltern würden sich noch die Mühe machen wollen, Nöstlingers etwas in die Jahre gekommenes Wiener Deutsch zu verstehen (Tipp: früher, in den Ausgaben von Oetinger, gab es hinten immer ein Glossar, in dem alle österreichischen Begriffe erklärt wurden).

Das hat mich nachdenklich gemacht, denn ich fand ihre Geschichten immer unterhaltsam und interessant, ja, es hat sogar Spaß gemacht, im Glossar die Wörter nachzuschlagen, die ich nicht verstand. Und danach war ich schlauer! Und zwischenmensch schlauer macht Nöstlinger lesen auch noch!

Es gibt noch viele weitere gute Gründe dafür, auch heute noch Nöstlinger-Fan zu werden und zu sein … Hier sind einige davon:

 

Ein Mann für Mama

Mein erstes Nöstlinger-Buch war Ein Mann für Mama, was sich heute (und auch damals schon) nach Ich heirate eine Familie in Buchform anhört. Aber so ist es nicht: In Ein Mann für Mama geht es darum, dass die Eltern der Erzählerin Su sich oft streiten und sich, nach einem besonders stressigen Urlaub, sogar trennen. Die beiden Kinder, Su und Irmela, müssen mit der Mutter zu Großmutter und Großtante ziehen, wo sie keinen Dreck machen dürfen, immer leise sein müssen und, fast am schlimmsten, das Essen der Großmutter aushalten müssen. Als die Großmutter eines Tages zur essunwilligen Su sagt, Hunger sei der beste Koch, entgegnet sie: „Großmutter, dein Name ist gewiss nicht Hunger!“

Su beschließt, einen neuen Mann für Mama zu suchen, denn die bekommt das von alleine nicht hin und noch länger bei der Großmutter zu wohnen, hält Su einfach nicht aus.

Das besonders Schöne an diesem Jugendroman ist seine Mischung aus realistischer Schilderung der Trennung (aus der Sicht Sus) und einem gleichzeitigen Witz und Leichtigkeit. Besonders Kinder, die wirklich eine Trennung erleben, werden davon profitieren, dass Su alle Ereignisse rückblickend so wahrhaftig schildert und trotzdem nicht den Mut verliert, sondern mit Tatentrang ihr eigenes Leben und das ihrer Familie zum Guten wenden will.

Und am Ende (spoiler alert!!) bekommen die Leser*innen sogar das, was sich Kinder in dieser Situation wahrscheinlich am meisten wünschen: Mama und Papa finden wieder zueinander. <3

 

Luki Live oder: Was im Leben wirklich wichtig ist

Eine besondere und zugleich alltägliche Geschichte über die Sandkastenfreundschaft zwischen Ariane und Luki, die sich erst verändert, als Luki für sechs Wochen nach England fährt und anschließend „eine Persönlichkeit“ werden will.

Das Besondere an diesem Buch ist für mich das Bemühen Lukis, ein ehrlicher und freundlicher Mensch zu sein, was in den Teenagerjahren wohl besonders schwer, aber insgeheim eine Sehnsucht vieler ist.

Auch soziale und gesellschaftliche Zustände und deren Wirkung auf Kinder und Jugendliche werden (wie in wohl allen Nöstlinger-Büchern) thematisiert, wie zum Beispiel die Herausforderung der Einführung der Koedukation in Schulen:

„Unsere Lehrerin war alt und sonderbar. Sie hat etwas gegen Klassen gehabt, in denen sowohl Buben als auch Mädchen sind. Zuerst – das hat sie meinem Papa erzählt – hat sie überhaupt in Pension gehen wollen, als das neue Gesetz von der Koedukation gemacht worden ist. Ihr Lebtag lang hatte sie nur Mädchenklassen gehabt. Eine Bubenklasse wollte sie nie. Aber dass da jetzt Buben und Mädchen vermischt werden sollten, das war ihr ganz entsetzlich. […] Sie hat zwei Bankreihen aufgestellt. Eine Fensterreihe und eine Türreihe. Am Fenster haben die Mädchen gesessen, an der Tür die Buben. Und der Mittelgang war die Grenze. Und da war es leichter, ohne Visum und Pass in die CSSR einzureisen, als über die Mittelganggrenze zu den Buben zu kommen. Ich habe mich an die Grenze nicht gehalten. Der Luki auch nicht. Wir haben Strafen von ihr bekommen. […] Und dann bin ich krank geworden. Das werde ich nämlich immer, wenn ich etwas gar nicht aushalten kann. […] Meine Mama hat damals gesagt, ich soll bleiben, wie ich bin, sie wird versuchen, die Zustände zu behandeln. […] Sie ist zum Schuldirektor gegangen und hat ihm die Gesetze erklärt, und ich habe wieder gesund sein können und habe neben dem Luki gesessen, alle vier Grundschuljahre lang. Und ich glaube, als die vier Jahre um waren, war die Lehrerin auch behandelt. Jedenfalls hat niemand mehr gemerkt, dass sie etwas gegen vermischte Kinder hat.“

Hier setzt sich die Protagonistin direkt und indirekt für eine feministische Klassenführung ein, indem sie sich nicht mit der (illegalen) Geschlechtertrennung abfindet. Denn das ist Feminismus: Alle Menschen, egal welchen Geschlechts, sollen dieselben Rechte und Freiheiten haben.

Nöstlinger sagte dazu in einem Interview:

„Ich möchte da nicht ungerecht sein, aber die junge Generation, die heute 20 bis 25-Jährigen, kommt mir als sehr unpolitisch vor. Das stelle ich in deren Wertesystem fest, welches sie vertreten. Sie finden sich emanzipiert genug und finden eine weitere Emanzipation sei nicht notwendig. Sozusagen sei jeder auf sich selbst gestellt, von Solidarität ist bei ihnen nichts zu spüren. Aber vielleicht irre ich mich da auch mit meiner Vermutung.“

Ich glaube, da hat sie verdammt recht!

 

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