Petzi in China, oder: Was einmal gut war, kann auch schlecht(er) werden

„When you read a book as a child, it becomes a part of your identity in a way that no other reading in your whole life does.”

 

… und das gilt auch für die vorgelesenen Bücher.

Und genau hier liegt auch das Problem, aber dazu muss ich kurz ausschweifen:

Letztens habe ich Petzi-Bücher für mein Kind gekauft.

Ich hatte sie in guter Erinnerung aus meiner eigenen Kindheit und wollte dies weitergeben an meinen Sohn. Ich erinnerte mich an eine fantasievolle Welt voller Abenteuer und Pfannkuchen, aus denen beim Essen die Marmelade raus triefte.

Ausgerechnet Petzi in China war das erste Buch, das wir zusammen anschauten und ich vorlas: Schon auf der ersten Seite taucht eine Gummipuppe auf – schwimmend im Meer, die Petzi zunächst für menschlich hält, bis er das Made-in-China-Schild sieht.

Und wie sieht die Puppe aus? Nun, Petzi findet, „sein Kopf sieht seltsam aus“. Tatsächlich wird die Gummifigur mit gelblichem Farbton und Kegelhut auf dem Kopf dargestellt.

Von hier an nahm das Yellowfacing dann ihren Lauf …

Wenigstens aber werden Petzi und seine Freunde nach dem Gummipuppenfund neugierig auf das ferne Land und beschließen, mit ihrem Schiff, der „Mary“, nach China zu fahren – und mal zu gucken, wie es da „wirklich“ aussieht.

Auf hoher See packen Petzi und Co ihre „chinesischen“ Masken aus und setzen sie sich aufs Gesicht, weil sie Freund Seebär glauben lassen wollen, sie seien schon in China.

dav

Spätestens hier wird mir klar, wie rassistisch erzählt (zumindest dieses) Petzis Abenteuer sein können. Ich erkläre meinem Kind, dass die Masken Petzi und Co natürlich nicht zu Chines*innen machen, dass Chines*innen anders aussehen.

Aber er reagiert vermutlich wie ich damals, nämlich gar nicht: Er ist schlicht nur gebannt und gefesselt von der Geschichte, meine erklärenden Worte sind ihm egal.

Als Petzi und seine Freund*innen dann auf chinesische Tiere treffen, sehen die natürlich so aus, wie Europäer*innen sich das in ihrer Exotik-Sehnsucht vorstell(t)en: auf dem Kopf einen Bambushut, mit Holzschuhen, bunten Gewändern und Fächern.

In China treffen Petzi und seine Freunde den König, der sie alle sehr gastfreundlich in seinen Palast einlädt. In den Sprechblasen des Königs sind tatsächlich Zeichen, die für Unwissenden wie chinesische Schrift aussehen. Es ist auch Chinesisch, aber Quatsch-Chinesisch. Denn versucht man, die Zeichen zu übersetzen, kommt kein sinnvoller Satz dabei heraus.

Zusammen mit dem König bereisen die Tierfreunde dann das ganze Land – mit einem fliegenden und einem Reitdrachen; sie essen zusammen und schlafen im Königshaus: Wenigstens ist es also auch in diesem Petz-Buch so, dass die Freunde und die Bewohner*innen des anderen Lands sich freudig und freundlich begegnen und eine Menge Spaß zusammen haben. Die Geschichte beschreibt eine schöne Offenheit und Neugier dem Neuen und Anderen gegenüber.

Aber nun mal zurück zum Ausgangspunkt:

Bücher, die uns als Kinder vorgelesen werden, werden Teil der eigenen Identität –  sie brennen sich sozusagen in das eigene Gedächtnis ein. Und das neigt ja dazu, die Dinge nicht so zu sehen, wie sie waren, sondern, wie man sich an sie erinnern möchte. Deshalb sollte man die eigene Erinnerung manchmal überprüfen – auch wenns schwerfällt.

Ich stoße ab und zu auf Ablehnung und Unverständnis, wenn ich – einst vielleicht von den Eltern als Kinder selbst geliebte – Bücher kritisiere. Dahinter steckt wohl der verständliche konservative Wunsch, Gutes möge Gutes bleiben, auch wenn die Zeiten sich – zum Glück- ändern.

Ich sage nicht, diese Bücher – Petzi, Pipi Langstrumpf und Co – sollen nicht mehr gelesen werden, aber: Was ich mir wünsche, ist ein Lesen und Vorlesen mit offenen Augen und einer Portion Hinterfragen. Denn das können und sollen (zumindest jüngere) Kinder selbst noch nicht leisten. Wenn wir Eltern also unkritisch und unkommentiert so ein Buch vorlesen, dann tragen wir dazu bei, dass rassistische und stereotype Menschenbilder in die nächste Generation weitergetragen werden. Außerdem werden Kinderbücher in unserer Gesellschaft schon längst nicht mehr nur für Biodeutsche gelesen und geschrieben, sondern auch von und für Deutsche, deren Eltern nicht weiß und/oder biodeutsch sind. Und die haben garantiert gar keinen Bock und kein Verständnis für die vermeintlich nostalgische Mohrenfigur oder den Negerkönig.

 

 

Schreibe einen Kommentar